Du bist ein Euro dreißig. Du bist Deutschland

nö, wird es nicht. das instrument der verdachtskündigung ist langjährig gängige praxis und es ist im prinzip auch eine vernünftige sache. würde „im zweifel für den angeklagten“ voll und ganz auch im arbeitsrecht gelten, wäre man als arbeitgeber gezwungen, sich bei jeder unregelmäßigkeit die staatsanwaltschaft ins haus zu holen um den vorgang auszuermitteln. darum geht es aber nicht, sondern um die unwiderrufliche zerrüttung des vertrauensverhältnisses.

von einer kassiererin erwarte ich absolute zuverlässigkeit. dabei ist es völlig egal, ob es um 1,30 EUR geht . warum ziehen sich alle so an diesem betrag hoch?. wer sagt mir denn, dass das die ersten pfandbons waren, die die person unterschlagen hat? und wo beginnt dann die berechtigung, arbeitsrechtliche maßnahmen einzuleiten? bei 100 Euro? 1000?

natürlich ist eine fristlose kündigung in dem fall völlig überzogen. es hätte mildere mittel gegeben, z.b. sie in einen bereich zu versetzen, in dem sie nicht mehr mit geld in berührung kommt, zum aufpacken etwa.
und ganz offensichtlich waren die „1,30“ nicht der wahre grund für die kündigung, sondern die tatsache,dass sie als gewerkschaftsmitglied unbequem war. der kündigungsschutz ist nach 30 jahren betriebszugehörigkeit aber so stark, dass es kaum eine andere möglichkeit gegeben hat, sie loszuwerden, als ihr eine strafbare handlung zu unterstellen.

letztlich spricht es aber für außerordentliche dämlichkeit von kaisers, keine andere lösung gefunden zu haben. man hätte der frau spätestens in der güteverhandlung eine ordentliche abfindung anbieten sollen und den fall damit geräuschlos beerdigt. ganz offentlich hat man nicht damit gerechnet, dass es zu einer derartigen öffentlichen hysterie kommt.

jetzt aber wird es durch diese ganzen solidaritäts- und boykottaufrufe sicher zu einem umsatzeinbruch für kaisers kommen, und der schaden wird weitaus höher ausfallen als 1,30. und das ist auch richtig so; ohne zweifel sind diese supermarktketten üble ausbeuter.
andererseits wird niemand dazu verurteilt, 30 jahre als kassiererin zu arbeiten.

frau emmely wird ihrerseits ihre sicherlich hochinteressante lebensgeschichte an den stern und an rtl verkaufen und mehr kohle machen als an ihren 30 jahren an der kasse, und am ende sind dann wie immer alle glücklich!

doch, kann man. wenn der arbeitgeber nicht schriftlich festgelegt hat, dass sonderzahlungen jederzeit widerruflich sind, entsteht nach dreimaliger zahlung eine „betriebliche übung“, und damit hast du einen einklagbaren anspruch. nur mal so als tipp.

Wg. “betrieblicher Übung”: Ist es nicht so, dass zwar aufgrund der Regelmäßigkeit die Zahlung nicht einfach eingestellt werden darf, wohl aber z.B. um die Hälfte oder mehr gekürzt? :question::
Ich meine, mal was in diese Richtung gehört zu haben? (Sorry, hat nicht direkt mit dem Thema was zu tun.)

Wobei ich doch schwer hoffe, dass die Unbequemlichkeit, die Polizei zu rufen, keiner der wirklich entscheidenen Rechtfertigungen für dieses Konstrukt der Verdachtskündigung ist!

Das Vertrauensverhältnis ist natürlich extrem wichtig, aber wie kann eine Zerrüttung dieses Vertrauens belegt werden? Offenbar gibt es hier die allgemeine Auslegung, dass objekte Tatsachen für einen Verstoß des Vertrauensverhältnisses vorliegen müssen. Aber allein die Zeugenaussagen von Kollegen als Beweise zu nehmen, ist zumindest diskussionswürdig, wenn an den in den Raum gestellten Vorkommnissen mit den Streikbrechern was dran ist. Natürlich weiß die Richterin mehr als wir, möglicherweise gibt es da tatsächlich noch mehr erhärtende Gründe. Aber unabhängig davon ergeben sich für mich noch viel mehr offene Fragen, die ich hier gar nicht alle hinschreiben kann.

@Springhuhn: vielen dank, wenn ich es gekonnt hätte, hätte ich genau diesen Beitrag geschrieben :question:

Ein Freund von mir, der Betriebsrat ist, hat es mir so erklärt: Im Gegensatz zum Strafrecht, bei dem es sie Aufgabe der Staatanwaltschaft ist, einen Angeklagten die Schuld nachzuweisen, gilt im Arbeitsrecht schon der bloße Verdacht - wie es hier ja schon öfters gesagt wurde. Ist natürlich eine zweischneidige Sache: Wenn ich mir vorstelle, ich hätte einen Angestellten von dem ich annehmen müsste, dass er klaut und könnte ihn nicht loswerden, würde mir das auch nicht schmecken. Andererseits ist das natürlich eine billige Lösung, einen ungeliebten Angestellten los zu werden.

unabhängig von meiner Meinung hier eine Karikatur aus unserer Tageszeitung…

Besser hätte der Zeichner / die Zeichnerin der Karikatur den Sachverhalt nicht darstellen können.

Wird es doch! :slight_smile:
Ich hab mich allerdings etwas undeutlich (oder besser: verkürzt) ausgedrückt, auch der Begriff ‚Präzendenzfall‘ trifft es wohl nicht so ganz. Was ich sagen wollte, war lediglich folgendes:
Dass die Verdachtskündigung seit Jahrzehnten gängige Praxis in Deutschland ist, ist mir bewusst. Insofern ging es also nicht darum, eine unklare Formulierung im Arbeitsrecht zu präzisieren. Das ganze hat allerdings ein stark politisches Moment: Gerade weil es immer wieder massive Diskussionen um diese früheren Auslegungen der Arbeitsgerichte gab, ging es in diesem Urteil um so viel, wohl, weil von vielen Seiten gehofft wurde, dass gerade der aktuelle Fall (wo sich berechtigterweise die Frage der Verhältnismäßigkeit stellt) dazu genutzt wird, um von gerichtlicher Seite bestimmte Praktiken wieder zu hinterfragen. Indem die gängige Rechtsprechung aber die bisherige Praxis untermauert hat, wird das insofern starke Auswirkungen haben, als damit kommende Konflikte erst mal auf längere Zeit vorentschieden wurden.
Und bevor jetzt noch 10 Mal der Kommentar kommt „wer klaut, egal wie viel, gehört bestraft“… Ja, dem stimm ich zu, und es geht mir auch gar nicht darum, wer von beiden Parteien nun die Bösere ist… Fakt ist, dass es keine letztendlichen Beweise gab. Im Gegenteil lassen die Fakten eben stark vermuten, dass es ein Vorwand für eine politisch motivierte Kündigung war. Aber auch das lässt sich nicht beweisen, deshalb will ich es auch nicht behaupten. Der Skandal in meinen Augen ist lediglich, dass im Konflikt „Verdacht auf Unterschlagung von 1,30 Euro“ versus „Verdacht auf politisch motivierte Kündigung“ eindeutig zu Gunsten derjenigen Partei entschieden wurde, die einfach die bessere Lobby hat…

Und zum Thema Weihnachtsgeld: klar ist das in bestimmten Fällen von Seiten des Arbeitnehmers anfechtbar, allerdings ist es trotzdem auch so, dass es aus Sicht des Arbeitgebers genügend rechtliche Lücken bzw. wirtschaftliche Vorwände gibt, mit denen eine Kürzung oder Streichung meist ohne weitere Folgen gerechtfertigt werden kann. Und selbst, wenn nicht: welcher Arbeitnehmer würde dagegen tatsächlich vor Gericht ziehen? Die Chancen stehen gut, dass er zwar sein Weihnachtsgeld nachträglich ausgezahlt bekommt, zwei Monate später aber wegen eines spontan auftretenden „Verdachts auf Vertrauensbruch“ oder was auch immer gekündigt wird…

Man kann das eben alles aus der Sicht eines Textbuch-Juristen betrachten, aus der ein Vergehen gleich ein Vergehen ist. Man kann das aber auch aus einer politischen Perspektive betrachten, aus welcher die strukturellen Machtverhältnisse zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen und Wirtschaftsteilnehmern eben doch sehr ungleich verteilt sind, und dann stellen sich viele Dinge schon wieder ganz anders dar… Und dann geht es in einem gerichtlichen Urteil nämlich nicht allein um die rechtliche Auslegung eines spezifischen Sachverhaltes, sondern um die Frage der Legitimierung bestimmter Strukturen. Und genau aus diesem Grund hat dieser Prozess zu Recht so hohe Wirbel geschlagen!

http://www.express.de/nachrichten/news/living-2008/trinkgeld-fuer-klofrauen-landet-bei-hintermaennern_artikel_1235811306263.html

2 Wochen später dann nochmal im EXPRESS :wink:

Aber wenn ich demnächst dann mal aufm Örtchen war, werde ich auch nachfragen, wer es denn bekommt :wink:

Dabei sollten ja eigentlich WIR besser einen Pfandbon bekommen! :mrgreen:

Ah, eine Qualitätszeitung berichtet über eine Qualitätssendung. :wink:

Aus der Mathemaik kennt man doch - * - ergibt + :mrgreen:

kommt darauf an. wenn der arbeitgeber jahrelang in gleicher höhe gezahlt hat, spricht einiges dafür, dass auch der zahlbetrag bestandsgeschützt ist; hat er schwankend gezahlt, je nach betriebsergebnis, darf er auch mal kürzen.

aha. also geht es doch nicht um arbeitsrecht.

das glaube ich nicht. die arbeitsgerichte urteilen in erster instanz im allgemeinen sehr arbeitnehmerfreundlich, und daran wird sich m. e. auch nichts ändern. die allermeisten arbeitsgerichtsverfahren gehen ohnehin reibungslos über die bühne, weil alle seiten im gütetermin darauf hinwirken, zu einer einigung zu kommen (z. b. auflösung des arbeitsverhältnisses gegen abfindung, oder weiterbeschäftigung in einem anderen betriebsteil). es überhaupt zum kammertermin kommen zu lassen, geschweige denn zu höheren instanzen, spricht für sturheit auf beiden seiten.

du hast eine eigenwillige auffassung der aufgaben der justiz. der arbeitsrichter hat in erster linie zu prüfen, ob bei der vertragsauflösung gegen recht und gesetz verstoßen wurde oder nicht. er hat nicht die aufgabe, die gesellschaftlichen verhältnisse auf den kopf zu stellen. dass eine einzelperson gegenüber einem konzern in der schlechteren position ist, mag uns nicht gefallen, ist aber mit ein wenig einem realitätssinn zu akzeptieren.
[/quote]

@ Springhuhn: Dankeschön. :slight_smile:

Siehste, genau das mein ich… :mrgreen: Es geht hier nicht um meine Auffassung der Justiz! Jede Disziplin handelt und urteilt nach ihrer eigenen Rationalität, und damit geht es nicht um falsch oder richtig. Es geht darum, dass das Zusammenspiel dieser Rationalitäten immer in (meist unbewusster) Interaktion und gegenseitiger Abhängigkeit vonstatten geht, und im Zuge solcher Interaktionen erst eine gesamtgesellschaftliche Struktur festigen, destabilisieren, legitimieren, etc.

Aber Juristen und Sozialwissenschaftler argumentieren grundsätzlich aus einer völlig unterschiedlichen Ausgangsdenke heraus und deshalb in der Regel auch aneinander vorbei - was im Übrigen auch einer der Gründe ist, warum kaum ein Politikwissenschaftler wirklich in die Politik geht… Aufgabe des Politikwissenschaftlers ist es nämlich genau, solche Rationalitäten und Denkweisen zu verstehen und zu hinterfragen… :slight_smile:

http://www.express.de/nachrichten/news/vermischtes/baecker-probiert-ein-broetchen--gefeuert_artikel_1235811336125.html :question:

In diesem “Hirtenfladen-Fall” wurde nun die fristlose Kündigung wegen eines Formfehlers für nichtig erklärt:

http://www.sueddeutsche.de/153385/299/2793902/Die-Causa-Hirtenfladen.html

http://www.express.de/nachrichten/news/vermischtes/busfahrerin-bremst-fuer-frosch---entlassen_artikel_1235811516849.html

Die Frösche kommen, wääk wääk, und zwar geschwommen :wink:

Meines Erachtens auch wieder ein Unding :question:

Ich stimme Neppomuk vollkommen zu.

Wer weiß, ob die Frau nicht auch Ärger (mit den Fahrgästen) bekommen hätte, wenn sie einfach über den Frosch rübergebrettert wäre…wie man’s macht, macht man’s verkehrt.

LG Nasenbärin