Interessante Frage, die ich mir selbst auch oft stelle. Ich bin aber ganz klar davon überzeugt, dass es nicht diese standardmäßige “Früher war alles besser”-Mentälität ist, sondern die Dauer des Zenits auch steuerbar ist.
Zur kommerziellen Hochphase, die auch meine Lieblingsphase ist, kamen viel öfter Alben, man war mehr im Studio. Alle 1 bis 2 Jahre erscheint ein fülliges Platinalbum, das letzte in diesem Turnus war Watumba. Später waren es dann nur noch alle paar Jahre mal ein Album. Spitzer schrieb ja nach 2001 auch manchmal ins eav.cc Forum und mir kam damals das irgendwie so vor, als lässt sich die EAV für weiteren Content bitten, es wurde viel angekündigt, aber wenig kam. Vielleicht teilt sich diese Wahrnehmung nicht mit der der anderen (würde mich interessieren, wie das andere sehen).
Ob in den Off-Years nach 1991 ebenso fleißig im Studio gearbeitet wurde, wage ich zu bezweifeln. Ich denke, das ist dann wie ein Muskel, den man nicht mehr fleißig trainiert.
Klar sind die Produktionen heute von der Tonqualität besser als je zuvor, aber die Dichte der obskuren Wortschöpfungen und genialen Wortspiele - sprich, der Genialität - hat abgenommen. Es wirkt weniger pointiert, eher verdünnt. Fast schon wie ein Schlager. Textlich gesehen war ein anderes Tempo angesagt, man versteht bei den neueren Alben den Großteil der Schmähs schon beim ersten Mal durchhören. Vielleicht wird man auch mit dem Alter einfacher, da das Leben und seine Moral einfach sein kann. Von den alten Alben gibt es immer wieder mal Zeilen, die ich erst heute nach all den Jahren verstehe, oder deren Witz sich mir entfaltet - einfach wegen der hohen Dichte und weil man all die Jahre beschäftigt war, über die Stelle 3 Worte vorher nachzudenken oder zu lachen.
Ich liebe die EAV und habe auch auf neuen Alben immer 1-2 Songs die ich richtig feier, aber seit Frauenluder (da fängt für mich die zweite Ära an) - ist die EAV nicht mehr so gut wie früher, was mit Sicherheit nicht so wäre, wäre der Turnus der jährlichen Alben weiterhin eingehalten worden. Wer rastet, der rostet.
Ich weiß nicht genau, warum sich hier meine persönliche Wahrnehmung (EAV spitzenklasse bis 2003) nicht mit dem Erfolg (Platin über Platin bis 1991) deckt, oder warum laut meiner Theorie die Pausen so fatal sind, ich aber im Gegensatz dazu finde, dass die Pause von “Nie wieder Kunst” 1994 hin zu “Im Himmel ist die Hölle los” 1997 keinen Abbruch tat - aber so einfach ist es dann wohl doch nicht. Eine Theorie wäre wohl, dass die lange Pause nach Nie wieder Kunst einfach zu lange war im schnelllebigen Showbusiness. Zumal die EAV ja immer noch Gold und Platin erhält. Wahrscheinlich hätts sollen so sein.
Was ich an der zweiten Ära großartig finde, ist dass sie es geschafft haben, mit 100 Jahre EAV die alten Hits wirklich neu aufleben zu lassen - das schaffen die wenigsten Künstler in ihrer Laufbahn. Noch Jahre nach dem Release bezogen sich alle EAV-Zitate und Playlists von Freunden, die ihre originalen Vinyls oder CDs wahrscheinlich schon vom vorletzten Umzug verloren hatten, immer auf das 100 Jahre-Best Of. Neandertal oder Fata Morgana gibt es, vor allem live, in der alten Version gar nicht mehr. Die EAV hat eh zu viele Best Ofs gemacht, aber dieses war außerordentlich (KdSSs oder Let’s Hop ist für mich kein Best Of).
Die ernste Seite der EAV mit Frauenluder war auch sehr interessant, mir gefiel diese aber trotzdem im Rahmen der alten Alben (da auch schon vorhanden) besser, vor allem war noch ein Kontrast zu dem Heiteren gegeben, was auf Albumlänge besser war (wie ein guter Film mit Ups & Downs). Frauenluder wirkte dagegen wie ein zwanghaftes Ausbrechen-wollen, hatte aber trotzdem hohen Gehalt. Dort spürte ich zum ersten Mal, dass sie nicht mehr da weitermachen werden, wo sie aufgehört hatten - und auch wenn nachfolgende Releases wieder spielerischer waren, bewahrheitete sich dies für mich.
Mit Werwolf Attacke gefällt mir leider absolut kein Track, vielleicht habe ich aber auch einfach nie den Zugang dazu gefunden. Ich muss aber auch gestehen, dass ich vielleicht noch zu jung und dumm bin für die neuen Sachen, die alten Scheiben dagegen diesen Simpsons-ähnlichen mehrschichtigen Humor hatten, wo für Menschen zwischen 3 bis 99 Jahren alles dabei ist.
Es ist aber schon eine Meisterleistung, nach 30 Jahren immer noch Platin zu gehen und so relevant zu sein und trotz des heute noch vieeel schnelllebigeren Business noch so relevant und aktuell zu sein und dann noch mal ein ganzes erfolgreiches Jahrzehnt hinzulegen und in den 60ern live von Kritikern nach wie vor durchweg 5/5 zu erhalten. Hut ab, meine EAV. <3